Der Blick über den Tellerrand

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Welche konkreten Erfahrungen aus und mit Mobilitätsprojekten haben Leitende und Lehrende in der deutschen Berufsbildung gesammelt? Der deutsche Partner im ENNE-Team, Wisamar, hat nachgefragt.

Was sind Ihrer Meinung nach die Chancen von Mobilitäten für Lernende, Berufsschulen und Unternehmen? Können Sie Beispiele aus Ihrer Praxis nennen, die sehr gut funktioniert haben? Und was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Schwierigkeiten bei der Organisation und Durchführung von Mobilitäten? Das sind einige der Fragen, zu denen Wisamar einige Akteure in deutschen Berufsschulen befragte, die dort für Projekte des europäischen Austauschs verantwortlich sind.

Selbstbewusster zurück

Es gibt viele Vorteile für Auszubildende, die eine Mobilität im Ausland absolvieren, da sind sich die Interviewten einig. Es sei eine sehr wichtige Erfahrung für junge Menschen und ihre persönliche Entwicklung. In der Regel kommen sie weltgewandter und offener zurück. „Sie schauen einfach mal über den Tellerrand hinaus“, meint eine Flensburger Berufsschullehrerin. „Sie gewinnen an Flexibilität und Selbstvertrauen und treten dann auch viel selbstbewusster am Arbeitsplatz auf.“ Zudem verbesserten sie in der Regel natürlich ihre Sprachkenntnisse, was auch ein großer Vorteil für ihren Ausbildungsbetrieb sei. Anders herum erhöhe die Chance auf einen Auslandsaufenthalt die Attraktivität der Lehrstelle: „Zu wissen, ich werde an einer Mobilität während meiner Ausbildung teilnehmen, macht es natürlich viel interessanter“, erklärt eine Befragte.

Für einige der Auszubildenden ist das Praktikum ihr erster Aufenthalt in einem fremden Land. Erasmus+ ermöglicht es auch Auszubildenden aus Familien mit weniger Einkommen, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren. Die Zahl der Menschen, die nach Abschluss ihrer Berufsausbildung ein Praktikum im Ausland absolvieren, nähme zu, so die Mobilitätsberaterin einer Wirtschaftsakademie, weil sie unmittelbar danach die Möglichkeit haben, länger in einem anderen Land zu bleiben. Während eines zwei- bis vierwöchigen Auslandsaufenthaltes lernten die Auszubildenden nicht immer viel Neues im Beruf, „aber danach können sie sich besser in ungewohnten Situationen durchboxen.“

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Bereicherung erleben als Gastgeber

Berufsbildungspersonal oder Auszubildende müssen nicht immer ins Ausland gehen, um ihren Horizont zu erweitern, betont eine Interviewte aus Leipzig. Besuche von Berufsbildungsverantwortlichen und Auszubildenden aus anderen Ländern in der eigenen Institution sind auch immer eine Bereicherung und Abwechslung im Tagesablauf. Und manchmal bringen sie frischen Wind in das Unternehmen, in dem sie ihr Auslandspraktikum absolvieren: Ein Interviewpartner erzählte, dass italienische Auszubildende die Social-Media-Präsenz für ihr deutsches Gastunternehmen entwickelt und ihren deutschen Kollegen anschließend erklärt und gezeigt hätten.

Die Motivation, trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten Mobilitäten zu organisieren, rührt von der Begeisterung und Aufregung der Auszubildenden her, die von einer Mobilität zurückkehren, erläutert eine Berufsschullehrerin aus Pinneberg. Die Studierenden sähen die negativen Punkte oft gar nicht oder finden einen Weg, diese in positive Lernerfahrungen umzuwandeln und ihre Zeit im Ausland aktiv zu nutzen.

Passende Praktikumsstellen, rechtliche Rahmenbedingungen und große Verantwortung

Aber welches sind die Probleme, denen sich die Erasmus+ Engagierten gegenüber sehen? Wirklich geeignete Praktikumsplätze für die Auszubildenden zu finden, ist schwierig, betonen viele der Interviewten. Einige Schulen arbeiten mit Mittlerorganisationen in anderen Ländern zusammen und sind mit der Qualität der zugewiesenen Praktikumsstellen nicht immer zufrieden. Die Praktika passten oft nicht wirklich zum Profil der Auszubildenden. Das führe teilweise auch zu Frust bei den Auszubildenden, so die Lehrerin aus Pinneberg. 

Ein anderer Interviewpartner sagte, dass das Haupthindernis bei der Organisation von Mobilitäten die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen der Länder seien. In Schweden ist es zum Beispiel nicht erlaubt, ohne Bezahlung zu arbeiten, und es muss erklärt werden, dass die Auszubildenden ein Stipendium erhalten usw. Jemand muss die Verantwortung dafür übernehmen, alles zu organisieren, einschließlich der Planung der Reise und der Buchung von Tickets und Unterkunft. Dies sei sehr zeitaufwendig. Darüber hinaus sei es eine große Verantwortung als begleitende Lehrkraft, wenn man mit einer Gruppe von Auszubildenden reist, betont eine erfahrene Berufsschullehrerin. „Mir fiel jedes Mal ein Stein vom Herzen, wenn alle wieder wohlbehalten am Heimatbahnhof waren.“ Ein gut ausgearbeitetes Programm sei ebenfalls sehr wichtig, das die Schüler nicht überfordert und ihre Unabhängigkeit nicht überbewertet. Viele von ihnen waren noch nie allein von zu Hause weg, haben noch nie ein Flugzeug benutzt oder sind weit gereist.

Freistellung durch die Partnerunternehmen

Doch nicht nur die Organisation des Aufenthalts und Programms im Ausland wird als herausfordernd empfunden, auch die Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen in Deutschland, in denen die jungen Menschen den praktischen Teil ihrer Ausbildung absolvieren, gestaltet sich nicht immer einfach. Nach den Erfahrungen einer interviewten Berufsschullehrerin seien die Partnerunternehmen nicht so sehr daran interessiert, ihre Auszubildenden ins Ausland zu schicken. Obwohl der Auslandsaufenthalt häufig während der Schulzeit der Auszubildenden stattfindet und nicht während der Zeit im Betrieb, stellte sich schon einmal ein Unternehmen dagegen, damit nicht zu viele Unterrichtsstunden verpasst werden. Es kommt immer wieder vor, dass Lehrlinge Urlaub nehmen, um an einer Mobilität teilnehmen zu können. Es sollte normal sein, dass die Auszubildenden für ihre Mobilität eine offizielle Freistellung vom Unternehmen erhalten.

Besondere Herausforderung COVID19

In diesem Jahr erschwerte COVID19 natürlich die Durchführung von Mobilitäten sehr: Viele der geplanten Auslandsaufenthalte wurden gestrichen oder, wenn möglich, auf 2021 verschoben. Es finden nur noch wenige individuelle Mobilitäten statt. Aufgrund der Situation ziehen es diejenigen, die ihr Praktikum noch im Ausland absolvieren wollen, vor, in Nachbarländer wie Dänemark oder Österreich zu reisen. Sie wollen nicht zu weit von zu Hause weg sein. Zwei Interviewpartner von Berufsschulen gaben an, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an Mobilitäten bei den Auszubildenden und dem Berufsbildungspersonal aufgrund der COVID-19-Pandemie abgenommen hat. Sie wollen solche Risiken nicht eingehen. Weitere Gründe seien die Haftung und die Frage, wer verantwortlich ist, wenn die Mobilität nicht wie geplant stattfinden kann. Deshalb wird alles unter Vorbehalt geplant. Es müsse vermieden werden, dass den Auszubildenden die Kosten aufgebürdet werden, falls die Mobilität nicht durchgeführt werden kann. Ein anderer Interviewpartner gab an, dass die Auszubildenden selbst noch immer ins Ausland gehen wollten, ihre Unternehmen in Deutschland sowie die Gastbetriebe in den anderen Ländern aber zögerlicher sind.

Die Sicht der Unternehmen

In Ergänzung dieses kurzen Einblicks in Mobilitätserfahrungen aus berufsbildenden Einrichtungen in Deutschland werden in der kommenden Ausgabe des ENNE-Newsletters die Unternehmen, vertreten durch verschiedene Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern, zu Wort kommen. Wisamar hat auch hier mit einigen Vertreterinnen und Vertretern gesprochen – also bleiben Sie gespannt!